Naturschutz mal anders: Wollige Vierbeiner im Einsatz

Für alle, die am 1. Juni 2021 den Weideauftrieb der Schafe in der Sportanlage Wilmersdorf an der Fritz-Wildung-Straße verpasst haben, hier ein kleiner Einblick in das Projekt.

Tierische Landschaftspflege

Ab Frühling/Sommer 2021 werden die brachgefallenen Tribünenflächen des Stadion Wilmersdorf im Rahmen eines Pilotprojektes mit 30 bis 50 Schafen und Ziegen beweidet. Hier geht es zur Pressemitteilung zum Start des Beweidungsprojektes.
Bislang wurden die zunehmend von Gehölzen bewachsenen Flächen vom Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks gepflegt. Im Rahmen eines Pilotprojekts soll Gehölzrückschnitt und Mahd nun durch eine natürliche Beweidung ersetzt werden.

Warum Beweidung in der Stadt?

Beim Stichwort Beweidung denkt man zunächst an ländliche Regionen. Aber auch in der Stadt hat eine Beweidung gegenüber einer Pflege mit Maschinen zahlreiche Vorteile.

Tiere machen die Arbeit – und werden auch noch satt dabei!

Die steilen Tribünen stellen unwegsames Gelände dar, auf dem ein Einsatz von Mähfahrzeugen nicht möglich ist. Darüber hinaus können aufwachsende Gehölze nicht einfach gemäht werden. Hier sind Schafe vielseitiger. Sie können gut klettern und fressen auch die Gehölze ab. Und noch dazu wird durch geringere Emissionen die Umwelt geschont.

Schafe fördern die Pflanzen- und Tierwelt

Verbiss, Tritt und punktueller Nährstoffeintrag schaffen ein Mosaik unterschiedlicher Standorte auf kleinstem Raum, von offfenen Bodenstellen bis zu langgrasigen Bereichen. Und: Schafe sind wählerisch – Arten, die ihnen nicht schmecken, bleiben verschont. So können sich artenreiche Weiden etablieren, die wiederum Insekten wie Schmetterlinge und Wildbienen anlocken und somit zu einer erhöhten biologischen Vielfalt beitragen. Zudem reisen Samen als Passagiere in Fell und Klauen der Schafe, was zur Ausbreitung seltener Arten beiträgt.

Die Grundidee

Im Pilotjahr 2021 wird mit dem Auftrieb der Tiere im Mai begonnen und zunächst eine regelmäßige 3-wöchige Druckbeweidung getestet. Für die Wintermonate verlassen die Schafe das Stadion und kehren vorerst in ihr Winterquartier in der Döberitzer Heide zurück. Im Herbst 2021 werden die beweideten Flächen zusätzlich durch Ansaaten schutzwürdiger Pflanzen aufgewertet, um eine langfristige Steigerung der regionalen Artenvielfalt zu erzielen.

Die Kooperation

Das Pilotprojekt erfolgt in einer bisher einzigartigen Kooperation zwischen Naturschutzverband und Umweltverwaltung. Die Naturschutzorganisation The Nature Conservancy fördert das Projekt aus Mitteln des Europe Urban Greening Programm durch ein Monitoring, das durch die TU Berlin wis-senschaftlich fundiert umgesetzt wird. Hier sollen die Effekte der Beweidung und Ansaaten auf die biologische Vielfalt evaluiert werden. Gleichzeitig ist dies ein gelungenes Beispiel für die Zusam-menarbeit von Ämtern – dem Schul- und Sportamt und dem Umwelt- und Naturschutzamt, bei der eine gleichzeitige Nutzung von Sport und Naturschutz erprobt wird.

Biotopentwicklung und Monitoring

Auf dem Gelände rund um das Horst-Dohm-Eisstadion und das Stadion Wilmersdorf gibt es Bereiche, die nicht direkt für die Ausübung von Sport genutzt werden. Diese bergen ein bisher ungenutztes Potenzial für eine Aufwertung im Sinne des Naturschutzes.
Begonnen wurde im Winter 2019/2020 mit der Einbringung von Frühblühern an der Oberkante des Hangs an der Fritz-Wildung-Straße. Darüber hinaus entwickelte sich die Idee, die brachgefallenen Tribünenbereiche am Wilmersdorfer Stadion durch eine Beweidung mit Schafen zu pflegen. Zusätzlich bietet die Anlage noch weitere Möglichkeiten einer naturnahen Entwicklung z. B. im Hinblick auf Entsiegelung und Ansiedlung von Gehölzen.

Die Ausgangslage: brachgefallene Tribünenflächen

Die ehemaligen untergenutzten Zuschauertribünen wurden bereits 2005 entfernt und begrünt. An den Hängen hat sich neben dem damals gepflanzten wilden Wein ein starker Gehölzaufwuchs überwiegend bestehend aus Eschenahorn und Gartenbrombeere ausgebreitet, der regelmäßig geschnitten werden muss. Diese zählen zu den sogenannten „invasiven Arten“, die dichte und artenarme Bestände bilden. Im Rahmen eines Beweidungsprojekts soll der Gehölzaufwuchs daher nachhaltig zurückgedrängt werden, um eine Entwicklung der Flächen in ein artenreiches Grünland zu ermöglichen.

Eine Maßnahme: Aufwertung durch Beweidung

Schafbeweidung wirkt sich in mehrfacher Hinsicht auf die Artenvielfalt aus. Zum einen bewirkt sie Standortvielfalt, indem sie eine typische mosaikartige Biotopstruktur entstehen lässt: Manche Bereiche werden mehr, andere wenig stark abgefressen, und durch Tritt oder Lagern können offene Bodenstellen entstehen. Dort, wo Schafe etwas fallen lassen, erfolgt punktuell ein Nährstoffeintrag, insgesamt aber eher ein Nährstoffentzug. Dieser ermöglicht die Ansiedlung von Arten, die bei hohem Nährstoffgehalt nicht konkurrenzfähig sind. Zum anderen fressen Schafe selektiv: giftige oder bitter schmeckende Arten werden von Schafen verschont (z. B. die Zypressen-Wolfsmilch oder der Sandthymian). Auch Pflanzenarten mit Dornen oder Stacheln (z. B. Distelarten oder die Dornige Hauhechel) werden von den Schafen gemieden. Und wieder andere Arten bilden tief am Boden anliegende Rosetten (z. B. der Mittlere Wegerich), die vom Maul der Schafe nicht erfasst werden. Dafür sorgen die Schafe durch den Verbiss der angrenzenden Vegetation, dass die Rosettenblätter ausreichend Licht erhalten. Arten, die gegen Verbiss geschützt sind, werden durch die Beweidung gefördert.

Wissenschaftliche Dokumentation

Die Herstellung von magerem Grünland im städtischen Zusammenhang – das ist ein Freilandexperiment, das auch für die wissenschaftliche Ökologie spannend ist. Daher wird die Biotopentwicklung in einem Monitoring der Technischen Universität Berlin untersucht. Für die Wissenschaft sind unter anderem folgende Fragestellungen interessant:

  • Können Schafe die invasiven Arten erfolgreich zurückdrängen?
  • Wie verändert sich der Lebensraum durch die Beweidung?
  • Welche eingebrachten Arten können in einem solchen Biotop überleben?
  • Wie weit werden die Arten infolge der Schafbeweidung ausgebreitet?
  • Welche Insekten siedeln sich in der Folge an?
    Die Antworten auf diese Fragen geben Hinweise, wie Naturschutz in der Stadt in Zukunft effektiv entwickelt werden kann.

Naturerfahrung

Das großzügige Rahmengrün rund um das Horst-Dohm-Eisstadion und das Stadion Wilmersdorf lädt bereits jetzt viele Bürgerinnen und Bürger zu Spaziergängen und Aufenthalt im Grünen ein. Die modulierte Kulturlandschaft der Anlage bietet mit seinen vielfältigen Gehölzstrukturen einen wichtigen Lebensraum für ein breites Artenspektrum mitten in der Stadt. Schattenspende Baumgruppen laden zum Verweilen und Beobachten, nicht nur von sportlichen Aktivitäten, ein. In den frühen Abend- und Morgenstunden übernehmen unzählige Kaninchen die Anlage. Neben Fuchs und Habicht haben hier auch viele Vogelarten ein Zuhause gefunden und erfreuen uns mit ihrem Gesang.
Im Winter 2019/2020 wurden darüber hinaus diverse Frühblüher am Hang entlang der Fritz-Wildung-Straße ausgebracht. Diese ausschließlich wilden Arten dienen als wichtige Nahrungsquelle für Insekten im zeitigen Frühjahr und setzen zusätzlich einen farbigen Akzent vor und während des Laubaustriebes.
Im Bereich der alten Tribünen finden sich zudem viele insektenfreundliche Pflanzen wie Brennnessel, Zaunrübe oder Lerchensporn.
Vom zeitigen Frühjahr bis in den späten Herbst hinein ist das summende Treiben lautstark zwischen den Pflanzen erlebbar. Zusätzlich verschaffen sie uns Menschen damit eine reiche Ernte am angrenzenden Weinberg.

Geschichte und Umgebung der Sportanlage

Kurzer Rückblick

Die Wilmersdorfer Sportanlage wurde zwischen 1948 und 1951 errichtet. Zuvor hatte das Gelände als Städtisches Gaswerk V und später bereits als Sportanlage gedient. Kurzzeitig wurde es auch, nachdem es während dem Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurde, für Schrebergärten genutzt. Im Jahre 1947 schließlich fingen die Bauarbeiten des heutigen Stadions auf 1.100.000 m3 Trümmerschutt und in geringerer Menge auch Rückständen einer Mülldeponie an. Das Stadion feierte seine Eröffnung 1951.
Da sich die ursprünglich geplante Zuschauerkapazität von ca. 50.000 Personen als zu großzügig herausstellte, fielen die Tribünen mit der Zeit brach.
1984 wurde dort erstmalig ein Weinberg mit je 100 Rebstöcken Weißer Riesling und Ehrenfelser an den nördlichen Tribünenhängen des Stadion Wilmersdorf angelegt. Die restlichen Tribünenflächen sind 2005 entfernt worden und wurden zum größten Teil begrünt.

Die Anlage heute

Die Anlage befindet sich direkt neben der Stadtautobahn und der Ringbahn und ist mit dem Ortsteil Wilmersdorf über die Fußgängerbrücke ‚Hoher Bogen‘ verbunden. In nächster Umgebung befinden sich das Sommerbad Wilmersdorf, Kleingartenanlagen, Sporthallen und das ehemalige Vattenfall
Heizkraftwerk Wilmersdorf. Außerdem grenzt das Sportgelände an ein Seniorenheim und eine temporäre Flüchtlingsunterkunft sowie Neubauten von Modularen Unterkünften für Geflüchtete.
Das Stadion Wilmersdorf wird heute hauptsächlich für Fußball, American Football und Leichtathletik genutzt. Auf dem Areal befinden sich neben dem Hauptstadion, Tennisplätze, diverse Leichtathletikanlagen, die Horst-Käsler-Sporthalle, das Stadtbad Wilmersdorf II sowie das Horst-Dohm-Eisstadion (1974 eröffnet).

Nachhaltige Entwicklung auf dem Sportgelände – Ideen für die Zukunft

Die nachhaltige Zukunft des Sportgeländes hat schon begonnen. Neben der Entwicklung von artenreichem Grünland wurden zur ökologischen Aufwertung im Winter 2019/2020 Frühblüher an der Böschungsoberkante zur Fritz-Wildung-Straße eingebracht. Weitere Maßnahmen im Stadion Wilmersdorf und am Horst-Dohm-Eisstadion sowie des gesamten Geländes sind für 2021/22 angesetzt. Unter anderem ist die sportgerechte Teilentsiegelung der Asphaltflächen und die Aufwertung der Pionierwälder in Richtung arten- und strukturreicher Altholzbestände oder die Integration von Photovoltaik-Anlagen angedacht.